Monika Dimmler

Mystiko Regenbach
Textauszug aus dem gleichnamigen Roman
(R. G. Fischer Verlag, ISBN 978-3-8301-9380-7)
Cäcilia erwachte. Sonniges Morgenlicht umspielte ihre Augenlider. Rhythmisches Klopfen und geschäftiges Klappern aus der Küche hatten sie geweckt. In ihre Nase zog der köstliche Duft frisch gebackener Weizenbrötchen. Cäcilia lächelte: Sonntag!
Sie wusste genau, was das Klopfen, Klappern und Duften bedeuteten: Es war Sonntag und zur Feier des Tages des Herrn gab es heute ein besonders gutes Frühstück: frisch gebackene Weizenbrötchen, frisch gestampfte Butter, gekochte Eier, Fruchtmarmelade und Honig.
Ja, das Leben einer jungen Adeligen hatte schon auch seine Vorzüge! Bis vor kurzem war Cäcilia das Sonntagsfrühstück selbstverständlich erschienen. Sie hatte es stets so gekannt und sich gefreut, dass es einen Tag in der Woche gab, an dem das Essen noch köstlicher war als an den anderen Tagen.
Nun aber hat der scharfe Blick und der erwachende Verstand der Elfjährigen zweierlei Neues erkannt:
Erstens, dass niemand im Dorf außer ihr, ihrem Vater und Adelhold ein solch köstliches Frühstück bekam.
Und zweitens, dass Hilda und Frohmut dafür ausgerechnet am Tag des Herrn früher aufstehen mussten, um es zuzubereiten.
Hilda störte das nicht weiter. Für »ihre« Herrschaft war ihr keine Mühe zu groß. Sie sagte stets, dass der Dienst an der Herrschaft noch höher stehe als das Ruhegebot des Herrentages.
Frohmut, ihre 12-jährige Tochter, die ihr in der Küche zur Hand ging, sah das neuerdings etwas anders. Bei einem heimlichen Gespräch mit Cäcilia hatte sie es der Freundin doch einmal »quasi aufs Butterbrot schmieren« müssen, dass es unfair sei, dass sie und ihre Mutter wegen des »Sonntagsaufwands« so früh aufstehen mussten und von den ganzen Köstlichkeiten erst eine Stunde später die Reste essen durften, während Cäcilia ausschlafen und sich an den gedeckten Tisch setzen durfte.
Als Frohmut das ihrer Mutter auch einmal vorgeworfen hatte, sagte diese: »Papperlapapp, du Grünschnabel. Du musst erst einmal erkennen, was für ein Vorrecht es ist, in der Küche der Herrschaft zu arbeiten. Schau uns beide an: Keine andere Witwe im Dorf kann ihr Kind so gut ernähren wie ich. Die Reste, die vom Tisch der Herrschaft zurückkommen sind für uns und davon haben wir doch ein gutes Leben. Die, die in der Herrschaftsküche arbeiten, verhungern als Letzte von allem Dienern.«
Da hatte sie wohl Recht. Hilda war rundlich um die Hüfte, hatte kräftige Hände, einen dicken, warmen Busen, ein rundes, freundliches Gesicht, lustige Locken und ein warmes Lachen. Frohmut war ein hübsches Mädchen, sie war nicht dick, aber auch nicht so klapprig dünn wie mach anderes arme Dorfmädchen. Sie hatte das freundlich warme, runde Gesicht ihrer Mutter geerbt, blonde, lockige Haare, klare, große blaue Augen und gesunde braune Haut mit roten Backen von der Arbeit im Freien. Langsam begannen sich an ihrem Mädchenkörper die ersten Anzeichen der erwachenden Weiblichkeit zu zeigen. Hilda betrachtete Frohmuts Schönheit mit mütterlichem Stolz, wollte ihr das aber nicht sagen, um sie nicht eitel zu machen.
Gottfried, Cäcilias Vater, pflegte immer zu sagen, dass das Essen nicht nur deshalb so gut sei, weil er sich als Vogt des Dorfes mehr leisten konnte als die anderen. Es sei deshalb so gut, weil Hilda es mit so viel Liebe zubereitete.
Das sah Adelhold freilich anders. Cäcilia konnte sich schon jetzt denken, wie sie wieder die Nase hochziehen würde über den leicht säuerlichen Geschmack in der Butter. Ein Zeichen dafür, dass der Rahm für die Butter mehrere Tage von der Milch gesammelt werden muss, um genug zu haben für das Butterfass.
»Bei uns am Hof zu Felsburg hatten wir so viel Milch, dass der Rahm eines einzigen Tages genügte, um Butter zu machen!«, pflegte sie dann zu sagen. »So eine Frischrahmbutter schmeckt doch viel milder und feiner als dieses Zeugs, das ich hier in diesem Bauernnest bekomme.«
Dass alle anderen im »Bauernnest«, wie sie es verächtlich nannte, gar keine Butter bekamen, nur Mager- oder Buttermilch und groben Getreidebrei, schien ihr noch nie aufgefallen zu sein.
Adelhold lebte erst seit einem Jahr bei Cäcilias Familie. Gottfried hatte sie als Gesellschafterin für seine Tochter angestellt. Er dachte wohl, dass er nun dafür sorgen müsse, dass jemand Cäcilia die Anstandsregeln und Kenntnisse einer jungen adligen Dame vermitteln müsse: zierliche Handarbeiten mit dem Stickgarn, zartes Spiel auf einer Zupfharfe, Körperpflege mit Parfümen und Cremes, das Wissen über die besten Stoffe und modische Schnitte. Vor allem aber höfische Regeln, höfisches Benehmen und ein vornehmes Schreiten. Seit dem Tod von Cäcilias Mutter Rahel vor 5 Jahren war keine adelige Frau in der direkten Familie vor Ort, die sich mit so etwas auskannte.
Nach dem Tod von Rahel hatte zunächst einmal Hilda die Aufgaben »an Mutter statt« für Cäcilia übernommen. Das fiel Hilda nicht schwer, war sie doch schon von Geburt an Cäcilias Amme gewesen. Das herzliche, warme, fröhliche Wesen Hildas umgab Cäcilia wie eine wärmende Decke und tröstete sie etwas nach dem schweren Verlust der Mutter.
Hilda zog Cäcilia und Frohmut mit ihrer überquellenden mütterlichen Liebe fast wie Schwestern auf. Trotzdem achtete sie stets darauf, das »adelige Kind« von den bäuerlichen Arbeiten fernzuhalten, ihre eigene Tochter aber von klein auf tüchtig in Küche und Hof in die Pflicht zu nehmen, damit sie etwas lernt, womit sie sich im Leben später selbst ihren Unterhalt verdienen kann.
Cäcilia konnte sich als Siebenjährige keinen schöneren Ort im Haus vorstellen als den Küchentisch, an dem sie oft saß, um nicht allein zu sein. Hilda und Frohmut werkelten und hatten nebenher trotzdem meistens Zeit mit Cäcilia zu reden, zu singen oder Geschichten zu erzählen. Manchmal rief Hilda gutmütig: »Frohmut, Cäcilia, meine Mädels, das Wetter ist so schön, geht raus zum Spielen!«
Nun aber herrschte Adelholds Regiment im Haushalt und die herrliche Zeit des Plauderns in der Küche und des Spielens in der Sonne war vorbei. »Dienstboten sind kein Umgang für ein Mädchen von Adel!« und »Die Sonne schadet deiner zarten Haut!«, »Du machst ja die feinen Kleider schmutzig!«, bekam Cäcilia immer wieder zu hören, wenn sie sich davongestohlen hatte und ihrem Herzen gefolgt war.
Adelhold war schlank und vornehm. Sie hielt sich gerade wie ein Rohrstock und hatte eine Haut wie kaltes Wachs. Kalt und starr – ja, das schien auf ihr ganzes Wesen zu passen. Ihr Gesicht war eigentlich schön – ebenmäßig und aristokratisch – wäre da nicht ein harter Zug um den Mund gewesen. Ihrem Antlitz fehlte einfach das Leuchten einer Liebe, die selbst dem einfachsten Gesicht noch eine Anmut verleihen konnte. Sie war jung und stets gut gekleidet und sie war sich stets ihres Geburtsranges einer »von und zu« Hochstein, verwitwete Felsburg, bewusst.
Ihre Härte hatte aber einen Grund: Das Leben hatte es bisher nicht nur gut mit ihr gemeint. Zwar war sie den Luxus einer adeligen Herkunft gewohnt. Doch hatte ein Schicksalsschlag dafür gesorgt, dass sie nun ihren Lebensunterhalt mit ihren erzieherischen Kenntnissen verdienen musste. Adelhold von Hochstein wurde jung mit Edelbert von Felsburg vermählt. Eine gute Partie. Der Erstgeborene derer zu Felsburg lebte in einer reichen Burganlage über den Wäldern und Wiesen von Hohenlohe. Die Familie hatte viele Leibeigene, die den Wohlstand und das Fortkommen des Adelsgeschlechtes sicherten. Doch schon ein halbes Jahr nach der Hochzeit musste Edelbert mit in einen Kampf ziehen – und fiel.
Die Familie derer zu Felsburg wartete noch ab, ob sich bei Adelhold Anzeichen einer Schwangerschaft zeigten – doch dies war nicht der Fall.
Zwar ließ man sie auf der Burg in einem Witwenzimmer leben – sie spürte aber, dass sie als Eingeheiratete ohne Kind als unnütze Mitesserin angesehen wurde. So hielt sie Ausschau nach einer weiteren lohnenden Ehe. Als sich nach mehreren Monaten diesbezüglich nichts tat, änderte sie ihre Strategie. Sie ließ in den Adelsgeschlechtern der Gegend verbreiten, dass sie bereit sei, ihr Wissen über standesgemäßes Verhalten jungen adeligen Töchtern zu vermitteln. Was sie nicht sagte: Besonderes Interesse hatte sie an den Töchtern verwitweter Adeliger. Wäre sie nur erst im Haushalt, so dachte sie, würde sich so nach und nach vielleicht auch die Liebe des Hausherrn zu ihr einstellen. Eine erneute Ehe mit einem verwitweten Fürsten würde ihr einen Teil des früheren Status zurückgeben.
So war sie nach Regenbach gekommen. Eigentlich war ihr das Anwesen zu klein, aber man musste nehmen, was man kriegte. Zudem sah der Vogt, Gottfried, trotz eines traurigen Zuges um die Augen, noch gut und stattlich aus.
Cäcilia schien intuitiv zu spüren, dass Adelhold eigentlich gar nichts an ihr lag – dass Adelhold nur versuchte, ihren eigenen Lebensstandard zu halten und ihr Auskommen zu haben.
Adelhold versuchte, ihre Aufgabe als »Erzieherin« gut zu machen, denn sie hoffte, damit Gottfrieds Wohlgefallen zu gewinnen. Diese Aufgabe gut zu machen bedeutete für Adelhold: Strenge, Härte und Disziplin.
Doch zurück zu jenem Sonntag …
Monika Dimmler, aufgewachsen in Selgenstadt
(< 100 Einwohner.), Mittlere Reife, kein Abitur »weil ich ein Mädchen bin« – deshalb ist ihr Bildungsgerechtigkeit ein Herzensanliegen; Bankkauffrau, Diakonin; 1999 »Back to Hohenlohe«-Satteldorf – der Liebe wegen; Mutter, Sekretärin, Altenheimseelsorgerin.
(< 100 Einwohner.), Mittlere Reife, kein Abitur »weil ich ein Mädchen bin« – deshalb ist ihr Bildungsgerechtigkeit ein Herzensanliegen; Bankkauffrau, Diakonin; 1999 »Back to Hohenlohe«-Satteldorf – der Liebe wegen; Mutter, Sekretärin, Altenheimseelsorgerin.


